Dashcam-Urteil: BGH erlaubt Unfallaufnahmen – wichtige Fragen bleiben ungeklärt
Der BGH hat eine Dashcam-Aufnahme als Unfall-Beweismittel für zulässig erklärt. Das Urteil könnte wegweisend sein, die Rechtslage bleibt aber weiterhin unklar.
den Morgenstunden hat der BGH ein neues Dashcam-Urteil gefällt, das viele Autofahrer im ersten Moment freuen dürfte. Dazu gibt es jedoch Unklarheiten, die zu klären sind und den einen oder anderen ratlos wie zuvor hinterlassen können. Der Reihe nach: Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat am Dienstag entschieden, dass ein PKW-Fahrer aus Magdeburg sein bei einem Unfall aufgenommenes Dashcam-Video als Beweismittel einbringen darf. Diesen Wunsch haben zuvor das Amts- und das Landgericht der Stadt Sachsen-Anhalts abgelehnt.
Das Video soll helfen, die Unschuld des Dashcam-Besitzers und Klägers zu belegen. Auf einer nach links verlaufenden, mehrspurigen Fahrbahn stießen die beiden PKW der Unfallbeteiligten zusammen. Das Video soll zeigen können, dass es sich bei dem Beklagten um den alleinigen Unfallverursacher handelt. Bisher ist keine Klärung möglich gewesen. Vom Gesamtschaden sollte der Kläger nur die Hälfte als Schadensersatz erhalten. Vor dem BGH und mithilfe des Videos möchte er sich die zweite Hälfte von 1.330 Euro erstreiten, wie auf tagesschau.de zu lesen ist.
Es sei nun zu klären, wer der Beteiligten seine Spur verlassen hat und den Unfall provozierte. Dies wäre aus Sicht des Kläger-PKWs sicherlich im Video zu sehen, allerdings filmte die Kamera zum einen dauerhaft in der Öffentlichkeit und zum anderen fremde Personen ohne Erlaubnis. Deswegen entschlossen sich die zwei genannten Magdeburger Gerichte gegen eine Berücksichtung des Dashcam-Videos.
Dashcams: Rechtlich bislang schwierig
Dies musste der Dashcam-Besitzer akzeptieren. Denn die rechtliche Realität sieht bislang folgendermaßen aus: Die Installation von Dashcams ist erlaubt. Das dauerhafte Filmen, um einen etwaigen Unfall einzufangen, jedoch streng untersagt. Hier greifen Gesetze zum Datenschutz und Persönlichkeitsrecht von (Un-)Beteiligten. Als Strafe droht ein Bußgeld. Anders gestaltet sich die Situation, wenn ein Autofahrer oder eine -fahrerin - aus welchen Gründen auch immer - in Erwartung eines unmittelbar eintretenden, versicherungsrelevanten Verkehrsereignisses den Aufnahmeknopf drückt. Wenn das erwartete Ereignis - ein Unfall - nun tatsächlich eintritt, würde das Video vor Gericht höchstwahrscheinlich als Beweismittel anerkannt werden.
Dies ist jedoch alles andere als praxisnah. Schließlich lassen sich wohl die wenigsten Verkehrsunfälle mit ausreichend Vorlauf erkennen, sodass sich neben Bremspedal und weiteren Reaktionen für die Sicherheit aller im PKW befindlichen Personen noch ein Aufnahmeknopf einer Videokamera betätigen ließe. Das aktuelle Dashcam-Urteil macht längere Aufnahmen ohne Anlass (ein Unfall) nicht automatisch legal bzw. gerichtsfest, diese bleiben weiterhin verboten. Das Urteil verabschiedet sich jedoch von der Vorgehensweise, Dashcam-Aufnahmen generell zu verbieten, die nicht nach dem zuvor genannten, erlaubten Muster entstanden sind.
BGH: Interessen des Klägers überwiegen
Es wird nach jetzigem Stand stets eine Abwägung zwischen den persönlichen Rechten von Unfallverursacher, dritten Unbeteiligten und dem Interesse an der Unfallaufklärung nötig sein. Im aktuellen Fall entschied das BGH, dass das Dashcam-Material zulässig sei – obwohl es nicht ausschließlich zur konkreten Unfallaufklärung aufgenommen wurde. Der BGH schreibt dazu in seiner Urteilsbegründung:
„Die Abwägung zwischen dem Interesse des Beweisführers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, seinem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beweisgegners in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ggf. als Recht am eigenen Bild andererseits führt zu einem Überwiegen der Interessen des Klägers.
Das Geschehen ereignete sich im öffentlichen Straßenraum, in den sich der Beklagte freiwillig begeben hat. Er hat sich durch seine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer ausgesetzt. Es wurden nur Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet, die grundsätzlich für jedermann wahrnehmbar sind. Rechnung zu tragen ist auch der häufigen besonderen Beweisnot, die der Schnelligkeit des Verkehrsgeschehens geschuldet ist. Unfallanalytische Gutachten setzen verlässliche Anknüpfungstatsachen voraus, an denen es häufig fehlt.
Der mögliche Eingriff in die allgemeinen Persönlichkeitsrechte anderer (mitgefilmter) Verkehrsteilnehmer führt nicht zu einer anderen Gewichtung. Denn ihrem Schutz ist vor allem durch die Regelungen des Datenschutzrechts Rechnung zu tragen, die nicht auf ein Beweisverwertungsverbot abzielen.“
Rechtslage weiterhin unklar
Es ist bemerkenswert, dass der BGH erstmals Dashcam-Material zugelassen hat, das eigentlich nicht „gesetzeskonform“ entstanden ist. Dauerhafte Aufnahmen wie die zugrundeliegende verstoßen schließlich weiterhin gegen Paragraph 4 des Bundesdatenschutzgesetzes, „da sie ohne Einwilligung der Betroffenen erfolgt“ sind.
Das Wichtigste für Autofahrer ist nun: Sie dürfen auf keinen Fall ohne einen angemessenen Grund und auf keinen Fall dauerhaft mit der Dashcam im Auto filmen. Eine Aufnahme muss „anlassbezogen“ sein, sollte darüber hinaus nach Möglichkeit also nicht weiter Unnötiges bereit halten. Dass Sie im Straßenverkehr gefilmtes Material mit fremden Personen nicht online oder anderweitig veröffentlichen dürfen, versteht sich von selbst.
In der Urteilsverkündung beschreibt der BGH gängige Dashcam-Funktionen für eine Aufnahmeschleife. Diese könnte etwa wenige Minuten betragen. Die erste Aufnahme wird nahtlos mit einer neuen überschrieben. So hat der Fahrer für den Fall der Fälle eine Aufnahme gemacht, allerdings wurde dafür dauerhaft gefilmt . Der BGH sagt leider nicht explizit, ob Aufnahmen mit diesen Features weniger problematisch für den Nutzer sind. Zumindest ließe sich so ein dauerhaftes Speichern vermeiden, filmen würden Sie dabei weiterhin dauerhaft.
Wenn wir uns weiter Situationen nach dem jetzigen Urteil ausmalen, kommen wir gar zu einem absurden Gedankenspiel: Dashcam-Nutzer könnten sich unter Umständen strafbar machen, wenn Sie den Straßenverkehr in einer riskanten und unübersichtlichen Situation filmen, dabei gegen Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte verstoßen und direkt im Anschluss keinen (!) Unfall bauen. Vergleiche zum Thema Privatkopien urheberrechtlich geschützter Werke könnten Ihnen als IT-affinen Nutzer einfallen. Diese Kopien darf ein Nutzer zwar für sich erstellen, einen fast immer dabei vorhandenen Kopierschutz darf er jedoch nicht umgehen.
Eine spannende Frage wäre auch, wie die Polizei reagiert, wenn sie Sie beim Filmen "erwischt", ohne dass Ihrem Auto im Verkehr etwas widerfährt. Anstatt der Polizei könnten auch Bürger Sie entdecken und um ihre Rechte besorgt sein, wenn Sie sie indirekt mitfilmen. Je nach Schwere etwaiger Beeinträchtigungen durch das Filmen könnten sich die Gefilmten auch zu rechtlichen Schritten veranlasst sehen. Spätestens dies dürfte Autofahrern weiterhin Kopfzerbrechen bereiten.
Fazit
Dashcam-Aufnahmen sind jetzt zwar nicht per se zulässig als Beweismittel - denn schließlich gilt es, ihre Zulässigkeit weiterhin im Einzelfall zu prüfen. Dass sie jedoch nicht generell verboten werden bzw. Schluss sein dürfte mit nicht-praxisnahen Bedingungen, ist zumindest ein guter Schritt. Wir halten Sie nach Möglichkeit auf dem Laufenden, sobald mehr Klarheit herrscht.
15.5.2018 von The-Khoa Nguyen
Quelle: Dashcam-Urteil: BGH erlaubt Unfallaufnahmen – wichtige Fragen bleiben ungeklärt - PC Magazin