Wem Deutschland die Bon-Pflicht verdankt, machte die SPD-Bundestagsabgeordnete Ingrid Arndt-Brauer gleich zu Beginn ihrer Verteidigungsrede deutlich: „2015 hat Norbert Walter-Borjans uns zum ersten Mal auf Kassenmanipulationen aufmerksam gemacht.“ Mit uns meinte sie die Mitglieder des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, dessen Vorsitzende sie damals war. Walter-Borjans hatte damals noch das Amt des Finanzministers von Nordrhein-Westfalen inne, nicht das des SPD-Vorsitzenden.
Als dann auch noch Kassenhersteller auf sie zugekommen seien, erinnerte sich Arndt-Brauer in Raum 2740 des Jakob-Kaiser-Hauses des Deutschen Bundestags, die sich beklagten, dass sie ohne manipulierbare Kassen im Sortiment keine Chance mehr auf dem Markt hätten, musste etwas geschehen. Heraus kam Ende 2016 das Gesetz, das für alle Händler mit elektronischen Kassen seit dem 1. Januar eine Bon-Pflicht vorsieht – und für Aufregung bei Händlern und Kunden sorgt.
Weil sich nach der Bäckerinnung auch Politiker von CDU, CSU und FDP auf die Bonpflicht eingeschossen hatten, bemühte sich die SPD nun im Gespräch mit den Hauptstadtjournalisten, die Aufmerksamkeit weg von den kleinen weißen Thermopapieren zu bekommen, die jedem Kunden seit dem Jahreswechsel in Bäckereien, Kantinen und Restaurants entgegengestreckt werden, und hin zum Kampf gegen Steuerbetrug. Das ist das Thema, mit dem Walter-Borjans als Erstes in Verbindung gebracht wird, seit er als Finanzminister Steuer-CDs mit Schwarzgelddaten kaufte.
„Wir wollen Steuerehrlichkeit für alle“, sagte Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD, der neben Arndt-Brauer Platz genommen hatte. Die Bon-Pflicht sei ein Gebot der Fairness den vielen steuerehrlichen Geschäftsinhabern gegenüber, denn erst wenn es einen Beleg mit Transaktionsnummer und elektronischer Signatur des Kassensystems gebe, könne eine Manipulation ausgeschlossen werden – eine Manipulation, die der Bundesrechnungshof mit zehn Milliarden Euro entgangenen Steuereinnahmen bezifferte. Außergewöhnlich sei dieses Ansinnen nicht, so Binding. „Eine Bon-Pflicht gibt es in fast ganz Europa“, sagte er. In anderen Ländern werde der Kunde sogar gezwungen, den Beleg mitzunehmen.
Bei Nachfragen wurde dann aber schnell deutlich, dass das Thema nicht ganz so einfach ist. Warum muss der Bon nicht nur auf Verlangen des Kunden ausgedruckt werden, war eine dieser Fragen. „Es geht um das erhöhte Risiko entdeckt zu werden“, sagte Binding. Wenn der Händler bei jedem Kunden befürchten müsse, dass es sich um einen Testkäufer der Finanzbehörden handelt, sei der Druck größer sich von Anfang an steuerehrlich zu verhalten. Zudem könne durch die auf den Bon gedruckten Transaktionsnummern ein Prüfer erkennen, ob der Umsatz ordnungsgemäß eingegeben wurde – und ob den Finanzbehörden die Kasse bekannt ist, es sich um keine unregistrierte Zweitkasse handelt.
Gerne werde mit zwei unterschiedlichen Kassen hantiert, sekundierte ihm Vera Junker, Staatssekretärin der Berliner Finanzverwaltung und SPD-Politikerin. In den Jahren 2018 und 2019 seien in Berlin 2221 gastronomische Betriebe geprüft worden, bei 95 Prozent habe man Fehler im Kassenbuch entdeckt. Wichtig sei: „Eine Buchung ist erst abgeschlossen, wenn der Händler die Freigabtaste drückt“, sagte sie, also wenn ein Bon ausdruckt wird oder dieser dem Kunden zumindest elektronisch zur Verfügung gestellt wird.
Weitere Nachfrage: Könnte die Bon-Pflicht bei kleinen Beträgen bis zehn Euro entfallen, wie es von Politikern anderer Parteien gefordert wird? „Kleinstbeträge von der Bonpflicht auszunehmen wäre das Dümmste, was wir machen könnten, das zeigt der Fall der Eisdiele in Rheinland-Pfalz“, sagte Binding. Die aufgeflogene Eisdiele habe innerhalb von drei Jahren 1,6 Millionen Euro Steuern hinterzogen. Nehme man bestimmte Käufe heraus, gebe es zudem keine lückenlose Nummerierung der Bons mehr. Das erschwere die Arbeit der Steuerprüfer.
Und kann die Bon-Pflicht im Herbst entfallen, wenn es die neuen, angeblich manipulationssicheren Kasse gibt? Möglicherweise, festlegen wollte sich aber keiner der anwesenden SPD-Politiker. Auch auf die Frage, warum ein Bon bei Kartenzahlungen, die ohnehin eine elektronische Spur hinterlassen, Pflicht ist, blieb die Runde eine nachvollziehbare Antwort schuldig.
In jedem Fall habe man das von der FDP angestoßene Gesetzgebungsverfahren erst einmal gestoppt, sagte Arndt-Brauer noch. Die FDP wollte die bestehende Regelung durch eine Änderung der Abgabenordnung kippen. Statt eine Änderung der Bon-Pflicht wolle man sich nun erst einmal mit Start-ups zusammensetzen, die papierschonende Lösungen für das Smartphone entwickelt hätten. Arndt-Brauer verwies auf Lösungen, bei denen der Kunde eine von der Kasse angezeigten QR-Code mit seinem Handy scannen könne und der Bon auf seinem Bildschirm erscheine. Letzte Nachfrage: Muss der Kunde einen solchen QR-Code scannen? Nein, ist die Antwort.
Quelle
Frankreich ist da schon einen Schritt weiter: Frankreich will den Kassenzettel für kleine Beträge abschaffen. Das Parlament verabschiedete mit einem abschließenden Votum im Senat ein Gesetz "gegen Verschwendung" und für die Kreislaufwirtschaft. Das sieht unter anderem vor, dass Kassenzettel für Beträge bis 30 Euro ab 2022 nicht mehr automatisch ausgedruckt werden sollen - einen Bon soll es nur noch geben, wenn die Kundin oder der Kunde dies wünscht.
Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit! (Erich Kästner)