Die Integration von Landsleuten - Oder: Wer hat den Patriotismus gepachtet?

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  • RamsesV
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  • Die Integration von Landsleuten - Oder: Wer hat den Patriotismus gepachtet?

    2010. Das Jahr nach der Finanzkrise, die nur die Menschen, nicht aber die Wirtschaft getroffen hat. Rechtspopulistische Ideen vermarkten sich gut. Auf der Linken seite wurde seit Jahrzehnten versäumt Nachwuchs zu züchten und langsam wächst eine neue Elite der Rechten heran.

    Eines, der wohl am rechtesten hängenden Staaten dieser Welt war zugleich ein armes Opfer des NS-Regimes. Zumindest wurde das immer betont.

    "Österreich ist frei!" Hörte man 1955 von der Hofburg aus. Da fragt man sich: Durch Arbeit?!

    Zur zweiten Zeit der Vollbeschäftigung in Österreich (1. Mal unter Hitler, 2. Mal unter Kreisky) gab es so viele Arbeitsplätze, dass es zu wenig Ösis gab, die sie belegen konnten. So holte man Arbeitskräfte durch aktive Zuwanderungspolitik nach Österreich. Viele Tausende Menschen strömten aus dem damaligen Jugoslavien in die Heimat der Österreicher. Viele ausgerechnet von da, wo "unser" Thronfolger 1914 erschossen wurde: Serbien. Zwar nicht aus diesem, aber aus einem folgenden Serbien kommt Marko. Ein Innsbrucker, wie ich. Aber nicht ganz:

    Marko Miloradovic schrieb:

    Meine Heimat

    Ich muss das loswerden. Weil ich ansonsten das Gefühl habe, dass mich dieser Brand, der sich beim Lesen der Zeitungen in mir entzündet hat, verbrennen könnte. Und deswegen muss ich dieses Gefühl wegschreiben, weil ich es leid bin zu schweigen.

    Barbara Rosenkranz kandidiert für das Bundespräsidentenamt und hat Potential. Nicht für den Wahlsieg, aber verschiedenste Polit-Institute geben ihr eine Aussicht auf über zwanzig Prozent der WählerInnenstimmen. Ich glaube ich muss nicht viel über die niederösterreichische Landesrätin schreiben; wir reden von einer Frau, die sich nie von den Positionen ihres Ehemannes Horst Rosenkranz, ein Faktor der rechtsextremen – Pseudointellektuellen, distanzieren wollte und die Existenz von Gaskammern als Teil der freien Meinungsäußerung abtut. Ich glaube, dass diese zwei Fakten (unter vielen Weiteren), ohnehin als konkrete Wahlempfehlung für Heinz Fischer zu verstehen sind, aber ich möchte auf etwas eingehen, was Barbara Rosenkranz und ihre Partei immer wieder für sich einnehmen wollen und auch bei dieser Wahl als “Trumpf” ausspielen werden: Die Heimat.

    Ich heiße Marko Miloradovic. Ich wurde in einem Land geboren, das es nicht mehr gibt, weil es in einem brutalen Krieg auseinander gerissen wurde. Heute heißt das Land wieder Serbien. Ich bin 22 Jahre alt und lebe seitdem ich denken kann in meiner Stadt, in meinem Innsbruck. Ich bin Österreicher und Serbe. Für mich ist das kein Widerspruch, kein Integrationsunwille, sondern mein Leben. Ich liebe dieses Land, genauso wie ich mein Serbien liebe. Ich unterscheide mich von meinen FreundInnen, weil ich eine andere Religion habe, mit einer anderen Sprache aufgewachsen bin und weil nicht in jede Disko reinkomme. Auf die Frage, was ich werden wolle, sagte mir man in der Volksschule im vorauseilenden Gehorsam, dass “wir auch gute Arbeiter bräuchten”. Ich wollte Arzt werden. Meine Mutter erklärte mir damals, dass ich mir immer bewusst sein solle, dass “man uns” als AusländerInnen sehe und ich zwei – , ja dreimal besser sein müsse, um die gleiche Ernte einfahren zu können. Heute studiere ich Jus. Arbeite. Zahle Steuern und rege mich auf, wenn das alpine Herrenteam keine Medaille nach Hause bringt. Und wenn ich mal wieder der Einzige bin, der sich im Zug ausweisen muss, meine Identität einer Kontrolle unterziehen lassen muss (wie bildhaft), frage ich mich trotzdem “Was soll ich hier?”.

    Das geht an Rosenkranz & Co.: Ich werde den Teufel tun. Mein Nachname endet mit -ic, ich spreche und schreibe besseres Deutsch, als der Großteil der nationalen Gfraster. Ich habe das gleiche Recht die Berge um Innsbruck zu lieben, genauso wie ich weiter über die österreichische Fußballnationalmannschaft motzen werde. Ihr seid nicht jene, die die Heimat gepachtet haben. Die anderen sind auch noch da. Mit dem gleichen Recht nehmen wir uns die Landschaft, den Kafka, die Mentalität und nennen es “unser”. Wir nehmen uns auch das Recht dieses Land und seine weit verbreitete braune Kruste zu hassen, weil wir es lieben – ohne Flagge, ohne falschen Stolz, ohne Nostalgie und ohne Rassismus. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann sagte einmal: “Es gibt schwierige Vaterländer. Eines von ihnen Deutschland. Aber es ist unser Vaterland.”

    Ich für meinen Teil, werde mich nie dem starken Gefühl der Ohnmacht beugen, fremd im eigenen Land zu sein. Ich werde dieses Land mit seinen Menschen nicht aufgeben. Da können noch so viele Hausfrauen daherkommen.

    Quelle: profil blog Blog-Archiv Brief aus der Heimat

    Videocast von Robert Misik - Folge 120:
    Migranten? Aber geh, das sind doch unsere Landsleute!

    Wem gehört nun also das Nationalgefühl? Dem Deutschen? Dem Österreicher? Dem Arier? Oder doch dem Türken? Darf ein Serbe sowas sagen? Darf ich jetzt den Kosovo lieben?

    Für mich steht ganz klar fest, dass an Markos Meinung nichts auszusetzen ist. Im Gegenteil. Hier werden Dinge angesprochen, die so noch nie in Österreich gesagt worden sind. Und sogar die Vierte Macht im Staate hilft bei der Verbreitung dieser Wahrheit. Zumindest ein renomiertes Magazin und ein Videoblog...

    Ich bitte um Eure Gedanken zu dem Brief, dem Thema, der Überschrift und zu eurem Patriotismus.

    Lg
    RamsesV

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von RamsesV () aus folgendem Grund: 2 Rechtschreibfehler ausgebessert

  • Ein sehr schöner Text, RamsesV. Recht hat er, der Herr Miloradovic.

    Manchmal fragt man sich schon, wie zufällig so eine Staatsangehörigkeit mitunter ist. Der Großvater eines damaligen Freundes hatte hintereinander 4 verschiedene Staatsangehörigkeiten, ohne sein Dorf, in dem er lebte (mit Ausnahme der Teilnahme am 1. Weltkrieg) jemals verlassen zu haben. Das Dorf und die Region drumherum wechselte eben mehrmals den Besitzer.

    Man kann ein Land mögen, ohne automatisch auch dessen Bewohner in sein Herz schließen zu müssen, zumal wenn man von ihnen schlecht behandelt wird. Ich kenne das von der Seite der 68er aus. Der Elterngeneration war nur bedingt zu trauen, viele von ihnen waren in die Geschehnisse des Dritten Reiches verstrickt und plötzlich nahtlos 'demokratisiert.' Aber musste man deswegen etwas gegen das Nachkriegsdeutschland haben? Natürlich nicht.

    Ich persönlich hatte nie das Gefühl, es sei 'mein' Land. Im politischen Kurs eines Willy Brand konnte ich mich noch einigermaßen wiederfinden, in den Notstandsgesetzen und ähnlichem allerdings nicht. Mein Bezug zu Deutschland ist ein gespaltener. Ich mag das Land, auch wenn es gerade dabei ist, den Bach herunter zu gehen. Aber ich mag seine Regierung nicht und die Masse der Leute, die ohnehin nur zu allem ja und amen sagt. AUf die kann ich gern verzichten.

    Gruß Konradin
  • Hallo RamsesV
    Mir gefällt der Text von Herrn Miloradovic auch sehr gut. Gibt es überhaupt den "richten", "reinrassigen" Bürger? Das war ja der grosse ideologische Irrtum der Nazis. Soll es den "richtigen" Bürger überhaupt geben? Wer den Weg auf sich nimmt, sich nach bestem Wissen und Gewissen in einem Land zu intergrieren, d.h. seine Anteil am Gemeinwohl zu leisten, der gehört doch dazu. Ich glaube, dass gerade Oesterreich und die Schweiz in diesem Punkt sehr ähnlich sind. Nicht nur die Alpen verbinden uns, sondern auch der Vielvölkerstaat. Die Schweiz ist eine Willensnation aus deutschen, fränzösischen, italienischen und romanischen Landsleuten. Wir können unsere Wurzeln nicht verleugnen. Doch wer ist denn nun der richtige Schweizer? Die richtige Antwort lautet: Alle und niemand - die Durchmischung ist zu gross. Herzl. Gruss freefloating
    Carpe diem - pflücke den Tag!
  • Nicht verkehrt was der Herr Marko Miloradovic da von sich gibt. Danke für die Arbeit RamsesV.
    Sich einen Land verbunden zu fühlen hängt nicht davon ab wo man geboren ist oder wo man lebt. Ich fühle mich hier in meiner Heimat in Deutschland am wohlsten. Natürlich muss ich wie in einem anderen Land auch hier so manche Dinge hinnehmen die mir nicht in den Kram passen. Wie freefloating es schon sagt ist die „Durchmischung“ so groß, das nicht die Nationalität oder der Glaube eine Rolle spielen, sondern einfach nur der Standpunkt zum Land und den Menschen entscheidet ob man sich wohlfühlt. Dann spricht ja auch nichts gegen ein gutes maß an Patriotismus. Im Gegensatz zu Konradin mag ich die meisten Menschen hier im Land. (wenn ich mein Umfeld auf Deutschland hochrechne komme ich zumindest zu diesem Schluß).:)

    Gruß klaf :D
    Ihr habt mich nicht gefragt ob ich geboren werden will, also sagt mir nicht wie ich zu leben habe.