Ursachen für die besondere Motivation der Unix-Gemeinde

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  • Ursachen für die besondere Motivation der Unix-Gemeinde

    Moin moin, liebe Interessierten

    in meiner Umfrage zum Thema Praxistauglichkeit von Linux (Server/Desktop) hatte ich schon angekündigt über die Besonderheiten der Motivation der Linuxentwicklergemeinde zu schreiben.

    Vorab sei erwähnt, dass ich mich in diesem Text auf eigene Erfahrungen (Gespräche, Mails, Beiträgen aus dem Wissenschaftsnetz) stütze, mich aber auch an Informationen aus Sekundärquellen (wie den im Anhang verlinkten weiterführenden Quellen) bedient habe.

    Damit trägt dieser Text eine ganz deutlich von mir eingefärbte Note und sollte daher auch als meine persönliche Begründung für die im Titel genannte besondere Motivation interpretiert werden.

    Die Gründe für die besondere Motivation sind naturgemäß historisch bedingt. Um diese Gründe zu verstehen ist es leider notwendig ein wenig tiefer in der Geschichte zu graben ;)
    Diejenigen, die das historische Vorgeplänkel nicht interessiert springen bitte direkt zu 2 Absätzen oberhalb des Time Warp

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    Historie von Unix (ursprünglich Unics)

    Bis in die 60er war die vorherrschende Verarbeitungsstruktur auf Großrechnersystemen eine sequentielle Programmabarbeitung. Während dieser Stapelverarbeitung war es den Anwendern nicht möglich interaktiv neue Eingaben oder Ausgaben durchzuführen.
    Der Gedanke kam auf, ein System von Zeitscheiben (CTSS = Compatible Time-Sharing-System) einzuführen, welches ein Programm eine gewisse Zeit laufen ließ, dann stoppte um andere Programme laufen zu lassen und dann zu einem späteren Zeitpunkt weiterlaufen lies. Damit war der Grundgedanke zu einem "multi-tasking" Betriebssytem geboren.

    Die Entwicklung dieser neuen Strukturen wurden am MIT (Massachusetts Institute of Technology) in den 60ern entwickelt und 1969 vorgestellt (Multics). Ursprünglich war in diese Entwicklung auch AT&T involviert, die aber unzufrieden mit der Zielsetzung und dem langsamen Entwicklungsfortschritten waren und sich daher mit ihrer Entwicklungsabteilung Bell Laboratories eigenständig um eine Alternative bemühten.

    Angeblich war der Grund für die Weiterentwicklung dieser Strukturen der Wunsch des Bell Laboratories Mitarbeiters Ken Thompson aufgrund der sehr teuren Rechenzeit auf Großrechnern das Spiel "Space Travel" auf einen Minirechner PDP-7 zu portieren. Es sollte nicht das einzige Mal in der Geschichte der Computer sein, dass ein Spiel der Auslöser für die Anforderung an ein neues, leistungsfähigeres System sein würde ;)

    Letztendlich wurde nicht nur ein Spiel portiert, sondern ebenfalls fast eine komplette Entwicklungsumgebung und ein eigenständiges Betriebssystem für die Plattform PDP-7 generiert. Dieses Sytem erhielt den parodierenden Namen Unics (in Abgrenzung zu Multics). Die Weiterentwicklungen dieses Systems mit der Entwicklungssprache B (später C durch Dennis Ritchie) führten zur offiziellen Vorstellung von Unix in den Jahren 1973/74.
    Da AT&T die ursprünglich geplante großflächige Vermarktung dieses Betriebssystems durch eine Kartellbehörde untersagt wurde, blieb Unix zunächst ein frei verfügbares Forschungsprojekt von Bell Laboratories.

    Ihr müsst euch vorstellen, dass diese an den Universitäten vorhandenen Unix Grundsysteme durch die frei verfügbaren Quelldaten einen ungemeinen Zuspruch fanden und zur Weiterentwicklung und Anpassung einluden.

    1982 wurde das Kartellverfahren gegen AT&T beendet und Unix wurde mit der neu veröffentlichten Version Unix System IV auf Grundlage der Sourcen von AT&T verkommerzialisiert. Die freien Sourcen wurden geschlossen und teure Lizenzen kamen auf den Markt. Der Gemeinde, die vorher an den freien Quellen weiterentwickelt hatten wurde damals damit so nachhaltig vor den Kopf gestoßen, dass sie diesen Schritt AT&T nie verziehen.

    <Time Warp>

    am 17.9.1991 bot der Finnische Student Linus Torvalds eine Shell inkl. Betriebssystemkern frei im Usenet an, die er ursprünglich aufgrund von Login-Schwierigkeiten auf dem Minix System der Universität Helsinki selbst entwickelt hatte. Linux war geboren.
    Durch Anreichern der Funktionalität des von Richard Stallmann bereits 1983 ins Leben gerufene GNU-Projekt wuchsen die Einsatzmöglichkeiten von Linux durch die aus dieser Quelle stammenden einfach zu integrierenden Tools und Programme rapide.

    Jetzt stellt euch mal die Situation der vorher "vergrätzten" Unix Gemeinde vor, die plötzlich erkannten, dass diese neue freie Plattform in einem rasanten Wachstum dazu ansetzte die kommerziellen Unix Produkte einzuholen (und zu überholen) - und das in einer Art, die sie von den ursprünglichen freien Quellen kannten. Massenweise organisierten sich diese Entwickler, deren Intention (hier kann ich natürlich nachweisbar nur von mir und den Personen mit denen ich Kontakt hatte sprechen) darin bestand die verkommerzialisierten Systeme vorzuführen. Das Ziel war, zu zeigen, dass mit dem ursprünglichen Gedanken der Userbestimmten und -gesteuerten Betriebssystementwicklung eine viel schnellere und stabilere Entwicklung vollzogen werden konnte, als mit einer streng gekapselten verkommerzialisierten Version des Betriebssystems.

    Linux hat viele Querelen hinter sich. Besonders zu betonen der Streit zwischen IBM und SCO über das Kopieren von Quellcode in Linuxsysteme. Nach meiner Einschätzung wurde hier nicht nur aus rein finanziellem Interesse gehandelt. SCO's eigene Produkte (als Gralshüter der Unix Sourcen) hatten auf dem Markt schon weit an Bedeutung verloren. Ich vermute, dass auch andere große Betriebssystemhersteller aus den USA (an wen mag ich da wohl denken?) Interesse daran hatten, dem rasch expandierenden und immer mächtiger werdenden Konkurrenten den Todesstoß zu versetzen (wenn schon nicht mit eigener überragender Technik, dann doch durch die Hintertür der Rechtswege). Auch das führte zur Festigung der Einstellung der Linuxentwicklergemeinde: "Jetzt erst recht"

    Die Geschichte der Gralshüter von Unix ist hochpolitisch und damit natürlich von starken Eigeninteressen der Inhaber der Rechte an den Unixquellen geprägt. Die im Laufe der Zeit entstandenen unterschiedlichen Unixsysteme haben zwar im Grunde die gleiche Quelle, aber eigenständig weitergetriebene Entwicklungsausprägungen. Leider ist es nicht immer geglückt, Wildwuchse wieder zu vereinheitlichen um eine durchgängige Administration zu gewährleisten.
    Was mich persönlich am Meisten schmerzt, ist, dass es auch im Linuxlager einzelne Fraktionen gegeben hat, die an der allgemeinen Weiterentwicklung profitierten, jedoch im Gegenzug eigene Verbesserungen nicht in jedem Fall der allgemeinen Weiterentwicklung zur Verfügung stellten.

    Heute lässt sich sagen, dass Linux als Serversystem von seiner Funktionalität, Wartbarkeit, Qualität, Sicherheit und Stabilität anderen Betriebssystemen nicht nur das Wasser reichen kann, sondern in Teilbereichen diese Eigenschaften von kommerziellen Systemen weit übertroffen hat.

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    Vielleicht erkennt ihr jetzt, dass für viele Entwickler und User von Linux viel mehr mitschwingt, als nur das Zusammenstellen von leistungsfähigen Funktionalitäten in einem sicheren Betriebssystem.

    Wenn ich euer Interesse geweckt habe, kann ich folgende Webseiten mit enthaltener Sekundärliteratur empfehlen:

    Geschichte von Unix (Andreas Krennmair)
    Unix-Geschichte (Björn König)

    keep on tuxing
    /Bog
    IRC war gestern, ... heute haben wir den Chat

    realize your tasks, then take a deep breath and go for it!

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Bogomir () aus folgendem Grund: &quot;Entbandwurmisierung&quot; und Rechtschreibung ;)