Neuer 5er BMW - Dynamisch oder digital?

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  • Neuer 5er BMW - Dynamisch oder digital?

    Viele Hersteller ächzen unter der Doppelbelastung: Einerseits sollen ihre Autos die digitale Elite verführen. Aber deswegen gleich die alten Markenwerte über Bord werfen? Nirgends zeigt sich das Dilemma deutlicher als am neuen BMW 5er.

    Wenn BMW in diesen Wochen den neuen Fünfer auf den Markt bringt, verdeutlicht die Business-Limousine mehr denn je das Dilemma, in dem die Automobilindustrie steckt: Auf der einen Seite predigen die Hersteller die Digitalisierung, machen das Auto zum Rechner auf Rädern, inszenieren ein Multi-Media-Spektakel im Cockpit und übertragen mehr Befehlsgewalt denn je an die Elektronik. Andererseits wollen sie ihre Stammkundschaft mit alten Idealen wie der Fahrdynamik bei der Stange halten. Kann so ein Spagat gutgehen, und rechnet er sich überhaupt?

    Für Johann Kistler, Projektleiter bei BMW und für den neuen Fünfer verantwortlich, ist der Job ganz sicher nicht leichter geworden. Denn nicht nur, dass die Spreizung bei den Anforderungen immer größer wird - zusätzlich schauen auch die Buchhalter den Entwicklern immer strenger auf die Finger.

    Manche Modelle können die Hersteller sehr spitz auf das eine oder das andere Extrem zuschneiden. Von einem Elektroauto erwartet niemand, dass es sinnliche Emotionen nach alter Auto-Tradition schürt und einen in jeder Kurve in den Sitz presst. Und ein Sportwagen muss kein Supercomputer auf Rädern sein, muss nicht permanent durchs Internet surfen, nicht zur erwarteten Ankunftszeit daheim den Backofen vorheizen oder auf Knopfdruck einparken können.

    Doppelbelastung bei der Entwicklung

    Doch ein Auto wie der Fünfer muss das eine tun, ohne das andere zu lassen, sagt Kistler. Er stöhnt über Bandbreite, zu dem ihn der Zeitenwechsel in der PS-Welt gezwungen hat. In seinem Lastenheft stehen mehr Rechenleistung, mehr Assistenzsysteme, mehr Infotainment (es gibt im neuen Fünfer ein noch größeres Head-Up-Display, einen berührungsempfindlichen Bildschirm, Schalter mit Näherungssensoren, Gestensteuerung und den aus dem Siebener bekannten Display-Schlüssel und eine App, mit der man die neue Limousine selbst dann aus der Vogelperspektive beobachten kann, wenn man meilenweit von ihr entfernt ist). Mit diesen Funktionen soll der neue Fünfer die Herzen der Digital Natives erobern.

    Gleichzeitig muss Kistler auch die Traditionalisten bedienen, jene Kunden, die sich tatsächlich noch für Motoren interessieren. Sie bekommen Triebwerke von zunächst 190 bis 462 PS, die nicht nur stärker, sondern auch sparsamer geworden sind, außerdem eine komplett neue Fahrzeugarchitektur, die trotz deutlich mehr Ausstattung 100 Kilo abgespeckt hat. Und obendrein ein runderneuertes Fahrwerk mit drei unterschiedlichen Konfigurationen und mit der Option auf Allradantrieb und Hinterrad-Lenkung.

    Vor dem Hintergrund, dass sich immer weniger Menschen mit ihren Autos identifizieren und ihren Status eher virtuell oder über Accessoires wie Fahrräder zum Preis eines Kleinwagens definieren, wirkt das auf den ersten Blick anachronistisch. Doch Kistler gibt sich unbeirrt: Für ihn steht die Limousine einmal mehr (oder vielleicht zum letzten Mal?) für die Freude am Fahren, die für den Projektleiter zu BMW gehört wie der Propeller auf der Haube und die Niere im Kühlergrill.

    Wer empfindet heute noch "Freude am Fahren"?

    Dieser zwar mit viel Elektronik beeinflusste, im Grunde aber durch und durch analoge Wert ist, das wird im Gespräch schnell deutlich, ist für den Ingenieur ein zentrales Differenzierungsmerkmal: Wo Mercedes die neue E-Klasse als "intelligenteste Business-Limousine der Welt" eingeführt hat, positioniert Kistler sein jüngstes Kind als den neuen Maßstab für Fahrdynamik in diesem Segment. Drei Jahre sind seine Leute dafür mit den Prototypen um die halbe Welt gefahren und waren noch in diesem Sommer in Wales unterwegs, um "auf den schlechtesten Straßen in ganz Europa" das Beste aus dem neuen Fahrwerk heraus zu holen.

    Das Ergebnis ist - so haben es die ersten Testfahrten in den Prototypen gezeigt - mehr als eindrucksvoll. Egal ob mit Standardfahrwerk oder variablen Dämpfern, mit Aktivlenkung oder mitlenkenden Hinterrädern - immer wirkt der Fünfer leichtfüßig, handlich und agil und lässt sich so mühelos über enge Landstraßen zirkeln , als wäre er auf das Format des Dreiers geschrumpft und nicht sogar noch einmal ein paar Zentimeter aus dem Leim gegangen.

    Doch interessiert sich dafür überhaupt noch jemand?

    Immerhin waren es die BMW-Manager selbst, die Kunden und Medien noch vor ein paar Jahren einreden wollten, dass die meisten Menschen nicht mehr wüssten, welche Räder an ihrem Wagen angetrieben würden. Mit diesem Mantra sollte die Einführung der Zweier-Reihe bei BMW gerechtfertigt werden, für die sich aus Kostengründen und wegen der Plattformstrategie der Frontantrieb empfahl. Ein Sakrileg für eine Marke, die den Heckantrieb über Jahrzehnte als "Standard" definiert und zum Kern des Markennimbus gemacht hat.

    Von hinten durch die Brust ins Auto

    Kistler sieht da keine Konflikte: "In dieser Klasse werden Autos sehr viel bewusster ausgewählt. Fahrdynamik ist und bleibt deshalb ein wichtiges Kriterium", beharrt der Projektleiter. "Wenn man die Augen schließen würde beim Fahren, dann ist es am Ende unsere Arbeit, die den Fünfer zu einem echten BMW macht," rechtfertigt er den hohen Aufwand, der einen beachtlichen Teil des Entwicklungsbudgets ausmacht. Was sich in dieser Aussage auch versteckt: Das Fahrwerk ist einer der wenigen Bereiche bei neuen Autos, der nicht so sehr von der Leistung der immer einflussreicheren Zulieferer bestimmt wird, sondern tatsächlich noch in der Hand der Hersteller liegt.

    Unterstützung erhält Kistler für seine Ansichten immerhin vom Experten Franz-Rudolf Esch: "BMW muss sich wieder auf seine Stärken besinnen", sagt der Markenwissenschaftler aus Saarlouis. Ein Profil sei wichtig zur Abgrenzung gegen andere Marken. Was passiert, wenn das verwässert, erklärt er am Beispiel von Mercedes-Benz: Der Konzern hatte in den Chrysler-Jahren unter Jürgen Schrempp den eigenen Qualitätsanspruch aufgegeben und mit schlampig gefertigten Allerweltsautos sein über Jahrzehnte aufgebautes Image ruiniert. Mit einem Kraftakt, einem klaren Fokus auf Sicherheit, Qualität und Prestige sowie einer überzeugenden Modellpolitik mit kohärentem und ausdrucksstarkem Design habe Mercedes diese Schwächephase mittlerweile überwunden, urteilt der Experte.

    Abgehängt von Mercedes-Benz

    BMW dagegen büße seine Position zusehends ein: "Mit dem Active Tourer entfernt sich BMW vom Kern der Marke. Der neue Siebener strebt mit der Luxuspositionierung eher der S-Klasse nach, als ein eigenes Profil zu schärfen". Gimmicks wie die Gestensteuerung, von BMW gefeiert und in der Kommunikation als eine Killer-Applikation aufwendig inszeniert, hält Esch für einen Irrweg: "Das macht die Sache auch nicht besser". In dieser Unbestimmtheit bei BMW sieht Esch auch den Grund dafür, dass die Münchner von Mercedes-Benz jüngst im renommierten Interbrand-Ranking abgehängt wurden, weil die Stuttgarter ihren Markenwert um 18 Prozent gesteigert haben.

    Insofern ist es möglich, dass der hohe Aufwand, den BMW in eher gusseisernen Disziplinen der Entwicklung betreibt, sich am Ende doch noch lohnt - wenn auch eher indirekt. Es geht gar nicht so sehr um das Fahren selbst, sondern ums Gefühl. So wie sich Menschen einen Porsche 911er kaufen, die die Möglichkeiten dieses Auto niemals nur im Ansatz ausreizen werden, aber mit dem 911 einen bestimmten Habitus, ein gewisses Statement, verknüpfen. Dieses Prinzip könnte auch beim Fünfer aufgehen in einer Welt, in der eine junge, dynamische Ausstrahlung zur quasi-Religion geworden ist.

    Esch mahnt dafür allerdings gleich noch einen weiteren Kurswechsel an: "Was fehlt, ist der nächste Designsprung." Diese Hoffnung wird der neue Fünfer allerdings nicht erfüllen. Denn im Grunde sieht er genauso aus wie der alte - dabei hat das mit Dynamik oder Digitalisierung am allerwenigsten zu tun.


    Quelle: Neuer 5er BMW: Dynamisch ins Digitale - SPIEGEL ONLINE