Die Studie hatte Zuwanderung auch aus dem Ausland als mitentscheidend für die »demografische Stabilisierung« des Landes genannt. Gelinge dies nicht, müsse man sich auf die »Verwaltung und Gestaltung von Schrumpfung« beschränken. Folge wäre ein bundespolitischer Bedeutungsverlust für das Land. Das Papier geht auch auf Gründe dafür ein, dass bisher nicht genügend Menschen aus dem Ausland in Sachsen-Anhalt arbeiten. Neben zu niedrigen Löhnen wird Fremdenfeindlichkeit in Teilen der Bevölkerung genannt. Diese müsse, so wird gemahnt, als »Problem für die nachhaltige Landesentwicklung identifiziert« werden.
Die Einschätzungen der Studie, die das von CDU-Politiker Thomas Webel geführte Ministerium für 80 000 Euro beim Leibnitz-Institut für Länderkunde in Leipzig in Auftrag gegeben hatte, sind in der Wissenschaft weit verbreitet. Joachim Ragnitz von der Dresdner Niederlassung des ifo-Instituts etwa verweist in einem aktuellen Aufsatz mit dem Titel »Zuwanderung tut not« auf die sinkende Bevölkerungszahl und das steigende Durchschnittsalter in Ostdeutschland. Beides führe dazu, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter binnen 15 Jahren um ein Fünftel, in manchen ländlichen Regionen um 30 Prozent und mehr sinken werde - was Firmen vor ernste Probleme bei der Fachkräftegewinnung stelle und womöglich sogar zur Schließung zwinge. Der Mangel könne nur durch mehr Zuwanderung behoben werden. Ragnitz plädiert für eine gezielte Anwerbung von Fachkräften im Ausland, die vom Staat unterstützt werden müsse.
Die Erkenntnisse aus der Wissenschaft stoßen allerdings in Teilen der Bevölkerung auf strikte Ablehnung. Das in Halle ansässige Institut für Wirtschaftsforschung (IWH), das Zuwanderung ebenfalls für notwendig hält, um die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft nicht weiter zu beeinträchtigen, verweist auf »mancherorts offen zutage tretende Fremdenfeindlichkeit«. Diese sei ein »negativer Standortfaktor«, schreibt IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller in dem Dossier »Nachhut Ostdeutschland«. Plädoyers für mehr Zuwanderung werden in rechten Kreise freilich als Beleg für die These eines von politischen Eliten angeblich betriebenen »Bevölkerungsaustauschs« gesehen. Als sich ein Journalist der ZEIT nach der Landtagswahl in Thüringen in einem Beitrag für mehr Zuwanderung nach Ostdeutschland aussprach, erntete er eine Flut an üblen Beschimpfungen.
Quelle:Unerwünschtes Plädoyer für Zuwanderung - Ministerialbeamter in Sachsen-Anhalt soll wegen Studie strafversetzt worden sein