Bundesverfassungsgericht: Unveränderte Archive wichtiger als Recht auf Vergessen

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    • Bundesverfassungsgericht: Unveränderte Archive wichtiger als Recht auf Vergessen

      Presse und Öffentlichkeit haben ein Recht auf unveränderte Archivartikel, sagt das Bundesverfassungsgericht. Das "Recht auf Vergessen" greift hier nicht.

      Die Presse und die Öffentlichkeit haben ein berechtigtes grundsätzliches Interesse daran, dass Presseberichte dauerhaft vollständig und unverändert verfügbar sind – und dieses kann schwerer wiegen als das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und das "Recht auf Vergessen" Betroffener. Das entschied das Bundesverfassungsgericht am Freitag und präzisierte damit in einer weiteren Entscheidung, wie weit das "Recht auf Vergessen" im Internet gehen kann. Im vorliegenden Fall ging es um einen Rechtsanwalt, der seinen Namen aus einem Jahrzehnte alten Pressebericht löschen lassen wollte, der online auffindbar ist.

      Familienverhältnisse 1978
      Eine diesbezügliche Verfassungsbeschwerde hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen; seinen Beschluss (Az. 1 BvR 1282/17) vom 25. Februar machte das Gericht am Freitag öffentlich. Der Beschwerdeführer arbeitet als Rechtsanwalt und störte sich an einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der SPIEGEL von 1978. Darin wird der damalige Oberbürgermeister einer bayerischen Großstadt portraitiert und es geht daraus hervor, dass der Beschwerdeführer der Sohn des Oberbürgermeisters ist.

      Der Bericht ist online im Archiv des Magazins auffindbar und wird auch bei Google als Suchergebnis für den Namen des Beschwerdeführers aufgeführt. Der Anwalt möchte jedoch nicht als Sohn mit dem damaligen Oberbürgermeister in Verbindung gebracht werden und klagte gegen den Verlag auf Unterlassung, ihn namentlich in dem Bericht zu nennen.

      Wahrnehmung nach eigenen Wünschen
      Damit scheiterte der Anwalt zuletzt 2017 beim Hanseatischen Oberlandesgericht und reichte daraufhin Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. In seiner Begründung stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass der Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit sich nicht darauf erstreckt, öffentlich so wahrgenommen zu werden, wie es den eigenen Wünschen entspricht. Im vorliegenden Fall drohen durch die Berichterstattung über das Kindschaftsverhältnis keine solchen negativen Folgen für die Persönlichkeitsentfaltung, wie das etwa bei Berichterstattung über schwere Straftaten oder grob missbilligtes Verhalten der Fall wäre.

      Eine schwere Straftat kann nämlich durchaus ein "Recht auf Vergessen" im Internet begründen, wie das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Fall im vergangenen Jahr feststellte – hierbei ging es darum, dass ein Presseartikel über eine lange zurückliegende Straftat unter den ersten Suchergebnissen für den Namen eines Verurteilten erscheint. Andererseits entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass im Fall des Mordes am bayerischen Schauspieler Walter Sedlmayr die Pressefreiheit erlaube, Details wie die Namen der Betroffenen zu veröffentlichen, da auch ein großes öffentliches Interesse an dem Ereignis bestehe.

      Außerdem argumentiert das Bundesverfassungsgericht, dass ein Löschen oder Verbergen der persönlichen Daten des Anwalts aus dem Pressebericht auch deshalb nicht angezeigt sei, weil das Suchergebnis erst an Position 40 bis 50 bei Google auftauche. Wer also nur oberflächlich recherchiere, dürfte gar nicht auf den Bericht stoßen und werde auch nicht "in persönlichkeitsverletzender Weise" auf den Bericht aufmerksam gemacht.

      Quelle: Bundesverfassungsgericht: Unveränderte Archive wichtiger als Recht auf Vergessen | heise online
    • "Recht auf Vergessen" vor dem Bundesgerichtshof

      Vor dem obersten deutschen Zivilgericht klagen zwei Parteien darauf, dass Google bestimmte Suchergebnisse löscht.

      Unter welchen Umständen besteht ein Anspruch auf Vergessenwerden im Netz – damit befasst sich seit Dienstag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Im Mittelpunkt steht Artikel 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): Demnach haben Betroffene grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass ihre Daten gelöscht werden – allerdings nicht in jedem Fall.

      "Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten ist kein uneingeschränktes Recht", betonte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters laut dpa. Sorgfältig müssten dagegen auch andere Grundrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung oder Informationsfreiheit abgewogen werden.

      "Zeit spielt vielleicht eine Rolle"
      Verhandelt werden gleich zwei Klagen gegen Google: Zum einen will der Ex-Regionalchef eines Wohlfahrtsverbandes aus Hessen erreichen, dass auf der Suche nach seinem Namen keine negativen Berichte über ihn mehr erscheinen. Die damalige Berichterstattung sei wegen des öffentlichen Interesses unstrittig berechtigt gewesen, sagte Seiters. Eine Rolle könne aber die Zeit spielen. Die Vorfälle – die finanzielle Schieflage des Verbandes und die Rolle des Klägers dabei – sind viele Jahre her. (Az.: VI ZR 405/18).

      Das Landgericht Frankfurt am Main urteilte, es seien nicht die Voraussetzungen eines Auslistungsanspruchs nach Art. 17 Abs. 1 DS-GVO gegeben. "Zwar enthielten die von der Beklagten verlinkten Presseartikel Gesundheitsdaten des Klägers i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DS-GVO. Doch sei die Verarbeitung der Daten durch die Beklagte zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich (Art. 17 Abs. 3 Buchst. a DS-GVO)", heißt es in einer Mitteilung des BGH.

      Google kann nicht überprüfen
      Im zweiten Fall klagt ein für Finanzdienstleister arbeitendes Paar. Es wehrt sich dagegen, dass kritische Artikel sowie Fotos von ihnen auftauchen, sobald ihr Name oder etwa der der Gesellschaften, für die sie arbeiten, bei Google gesucht werden. (Az.: VI ZR 476/18). Das Paar beruft sich darauf, dass die verlinkten Artikel unwahr seien. Google wiederum erklärt, dies nicht überprüfen zu können.

      Das Oberlandesgericht Köln erklärte, da ein Suchmaschinenbetreiber in keinem rechtlichen Verhältnis zu den Verfassern der in den Ergebnislisten nachgewiesenen Inhalten stehe, sei ihm die Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts nicht möglich. Den Wahrheitsgehalt der behaupteten Tatsache darstellen müsse derjenige, der die Auslistung beansprucht.

      Die Anwälte der Kläger regten jeweils an, die Fragen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Eine Entscheidung des BGH wird voraussichtlich in den nächsten Wochen ergehen. Eine Entscheidung des EuGH zu diesem Themenbereich gab es bereits vor sechs Jahren, als sich ein Spanier sich erfolgreich dagegen gewehrt hatte, dass Google bei der Eingabe seines Namens einen Artikel über die Zwangsversteigerung seines Hauses 15 Jahren zuvor angezeigt hatte. Damals galt allerdings noch nicht die DSGVO.

      Quelle: "Recht auf Vergessen" vor dem Bundesgerichtshof | heise online